Waghäusel(js). Seit Monaten bewegt die Schließung der Notarztpraxis in Kirrlach nicht nur die Gemüter in der Großen Kreisstadt Waghäusel. Die CDU-Vorsitzende Susanne Diesing hatte daher vier Experten zu verschiedenen Aspekten der „Zukunft der (Notfall-)medizinischen Versorgung“ eingeladen. Der Landtagsabgeordnete Ulli Hockenberger nahm ebenfalls teil und will die im Landtag weiter thematisieren. Vom großen Interesse in der Bevölkerung zeugte die vollbesetzte Vereinsgaststätte des FV 1912 Wiesental.
Erster Referent des Abends war Kai Sonntag von der Kassenärztlichen Vereinigung, die wegen der Schließung der Notfallpraxen stark in der Kritik steht. Er erläuterte die Funktion des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes und die Abgrenzung zur notfallärztlichen Versorgung.
„Der Bereitschaftsdienst wurde schon in den letzten Jahren immer schwieriger durch Spezialisierung der Ärzte und Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte“, erklärte Sonntag. Hinzu kommen immer mehr angestellte Ärzte im ambulanten Bereich, die nicht zum Bereitschaftsdienst verpflichtet sind. Das Poolarztmodell wurde durch einen Gerichtsentscheid gekippt. Trotz der Schließungen gebe es weiter den Bereitschaftsdienst, allerdings müssten etwas weitere Wege in Kauf genommen werden. „Nachdem die Organisationsstruktur der Poolärzte in Baden-Württemberg mit dem Fall des Gerichtsurteils vergleichbar ist, mussten wir als KV reagieren. Betroffen sind insgesamt 3.000 Ärzte, für die ein Arbeitsverhältnis notwendig geworden wäre“, rechtfertigte Sonntag die Entscheidung der KV. Das sah unter anderem Waghäusels Oberbürgermeister Thomas Deuschle anders, der als Jurist von einer Einzelfallentscheidung sprach, die nicht für andere Bereiche gelten müsse. Verschiedene Teilnehmer erhoben gegenüber dem KV-Vertreter ebenfalls den Vorwurf, man habe nach dem Urteil in vorauseilendem Gehorsam gehandelt, um eigene Probleme zu lösen.
Jürgen Schlindwein, Vorsitzender des Vereins Notrufteam VRK, erläuterte die historische Entwicklung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, der ursprünglich rein vom Deutschen Roten Kreuz getragen war. Er zeigte in seinem Vortrag die Verschlechterungen auf, die seit der schrittweisen Übernahme durch die KV eintraten. Sie seien mit der Ausschreibung und Zentralisierung verschiedener Leistungen einhergegangen. Inzwischen erlebe man immer häufiger lange Wartezeiten im Callcenter mit wenig Ortskenntnis, was zu Problemen bei der Disposition führe. Schlindwein stellte eine Steigerung der Patientenzahlen bei den Besuchen der Notfallambulanz in Kirrlach fest. Zur Qualitätsverbesserung regte er an, künftig wieder auf regionale integrierte Leitstellen zu setzen. An Ulli Hockenberger richtete er die Bitte, die Abfrage des ärztlichen Bereitschaftsdienstes wieder auf die integrierte Leitstelle (ILS) zu legen und dies im Landtag nochmals zu thematisieren.
Steffen Ullmer, stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung der privaten Rettungsdienste, schilderte die Probleme in der personellen Ausstattung im Bereich der Versorgung in ländlichen Gebieten. Er erläuterte die Regelungen des neuen Rettungsdienstgesetzes. „Es gibt unterschiedliche Hilfsfristen, wie die Patienten versorgt werden müssen. Wenn beispielsweise der Krankentransport fehlt, entsteht eine große Belastung bei den Rettungsdiensten“, so Ullmer. Er forderte, dass die Leitstellen mehr Kompetenzen bekommen sollten. Ziel müsse es sein, die Patienten an die richtige Stelle zu bringen.
Der Arzt und Dozent für Notfallmedizin Steffen Krahl ging zum Thema „Delegation in der Notfallmedizin“ der Frage nach, „was passiert, bis der Rettungsdienst eintrifft?“. Er wirbt für den Aufbau notfallmedizinischer Strukturen durch Laienhelfer, Smartphone-Retter und Notfallhelfer. In Waghäusel regte er den Ausbau bestehender Strukturen an, unter Beteiligung von DRK, Feuerwehr, Notrufteam und THW. Es könne ein Pilotprojekt mit wissenschaftlicher Anbindung an die Hochschule Heidelberg entstehen, so der Experte.
Jürgen Scheurer